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Freitag, 12. Oktober 2012 - Golan


  1. Nach kurzer Nacht (s. Bericht vom Vortag) und erfrischendem Regen startete der Tag früh, sonnig und zunächst etwas behäbig.  Aber passend zum einen Teil der Tageslosung „Mädchen[…], steh auf!“ (Mk 5,4) rafften wir unsere Lebensgeister zusammen. Dies gelang uns spätestens beim etwas gewöhnungsbedürftigen, aber durchaus koffeinhaltigen Kaffee und einem leckeren Frühstück im sozialistisch angehauchten Großspeisesaal (Am späten Abend würden wir dann erfahren, dass er nicht nur „angehaucht war).
    Bereits um 8:15 ging’s dann mit dem Reisebus auf zur „offiziellen Taufstelle am Jordan. Irrtümlicherweise nahm Doris an, dass wir erst zur „Umtauschstelle führen, da einige doch dringend Geld brauchten. Ebenso fuhren wir nicht zur „Goldankaufstelle, wie Julia uns in einem früheren Reiseerlebnis geschildert hatte, auch wenn wir das nach Empfang der Rabattmarken für den Souvenirshop durchaus denken konnten. Tatsächlich trafen wir an den Treppen am Ufer auch auf eine Gruppe amerikanischer Täuflinge und warteten gespannt auf die zu erwartenden Ereignisse. Derweil vergnügte sich ein Teil der Gruppe mit ihren Füßen im Wasser und ließ sich von verschiedenen Fischen „abfressen bzw. füllte das kostbare Nass in – mitgebrachte und nicht überteuert dort gekaufte - Fläschchen ab.
    Danach fuhren wir über Tiberias nun doch zur „Tauschstelle“, um die Börse aufzufüllen, weiter nach Safed – ausgesprochen Tzfat –, die Stadt der Kabbalisten.
    Orthodoxe Juden, am Anfang noch günstiger Granatapfelsaft und wunderbare Kunstschätze der bisher uns unbekannten „Mikroschriftkunst“ beeindruckten uns im Synagogenviertel der Altstadt. Zur Freude aller durften wir eine der zahlreichen Synagogen besichtigen: In der Joseph Caro Synagoge, die von außen völlig unscheinbar aussah und sich nicht von den Läden und Häusern in der Basarstraße unterschied, mussten die Männer erst eine gebastelte Kippa oder ihre sonstigen Mützen aufsetzen. Im komplett blau gestrichenen Raum befanden sich an den Wänden zahlreiche alte Bücher und Schriften, denn er ist auch Lehrraum und zudem dürfen im Judentum keine Schriften weg geworfen werden. Auf den bequem gepolsterten Bänken sitzend lauschten wir unserem Guide Dov vor dem Thoraschrein.
    Die nachfolgenden 20 Minuten zum Bummeln wurden etwas ausgedehnt, weil erstandene Bilder noch zur Verschiffung in Auftrag gegeben werden mussten. Die anderen tranken den Granatapfelsaft, der mittlerweile auf wundersame Weise 5 NIS teurer geworden war.
    Endlich wieder vollzählig ging es weiter an die Grenze zum Libanon. Von einem Aussichtsplatz über dem Dorf Metula konnten wir auf der jenseitigen Grenzseite einen Militärwagen beobachten und Dovs Erklärungen gespannt zuhören. Hier wurde uns heute zum ersten Mal die kritische Lage am Golan deutlich.
    Die nachfolgende Mittagspause bot nicht nur die bereits üblichen und heiß ersehnten Fellafel und Shoama, sondern auch israelische Soldaten mit Maschinengewehr im McDonalds, was bei einigen leichte Beklemmung verursachte.
    Diese verloren wir jedoch schnell, als Manuela und Katja einen fallen gelassenen Schekel aus einer Fuge erretteten, indem ein langfristiges Teamprojekt der beiden mit Fingerspitzengefühl und sogar mit Werkzeug letztendlich durch einen mit mentalen und körperlich vereinten Kräften ausgegrabenen Pflasterstein gelöst wurde. Beweisfotos müssen leider ohne akustische Untermalung von Giselas Lachen begutachtet werden.
    Frisch gestärkt und jetzt ohne Geldsorgen fuhren wir nach Banyas. An der Quelle des Flusses Banyas, benannt nach dem griechischen Gott Pan und auf Hebräisch Hermon, einem der Quellflüsse des Jordan, liegt eine teils in den Fels geschlagene hellenistisch-römische Tempelanlage. Leider konnten wir die anschließende Wanderung um den Banyas nicht antreten, weil ein bewaffneter Soldat uns darauf hinwies, dass das Gelände statt um 16h bereits um 15h schließe.
    Aber laut der 2. Tageslosung „Fürchte dich nicht, ich helfe dir!“ (Jes 41,13) fand der flexible Dov auf kurze Nachfrage eine Alternative: Durch die Drusendörfer fuhren wir zum erloschenen Vulkan Ben Tal. Hier konnten wir die Spuren des Sechstagekrieges sehen: Schützengräben, Bunker und Halterungen der Waffen. Dies alles mit einem faszinierenden Blick auf den Golan und Syrien.
    Die trübe Stimmung hellte ein Kaffee vom hoch gelegenen „Coffee Anan“, zu Deutsch „Himmelskaffee“, auf und so fuhren wir Richtung Kibbuz Shaar HaGolan.
    Den langen Reisetag beendeten wir mit einem traumhaften Blick auf den Sonnenuntergang über dem See Genezareth. Auf dem Aussichtspunkt leistete uns dabei eine winzige rötliche Katze Gesellschaft und verhalf uns mit ihrem Schnurren noch mehr zu einem zufriedenen Einstieg in den Sabbat.
    Wieder im Kibbuz düsten wir rasch unter die Duschen, um das reichhaltige Abendessen mit einem Beerenauslese-Sherry-Jägermeister-Pflaumenwein-Traubensaft – diverse Verkoster konnten sich nicht einigen, was das denn nun war, denn auf der Flasche stand nur Hebräisch – zu zelebrieren.
    Unsere Augen fielen allerdings beim anschließenden Gespräch mit Nurrit, der Gründerin des Kibbuz-Gästehauses beinahe zu, allerdings nicht, weil es langweilig gewesen wäre, sondern weil der Tag so lang war.
     
    Leben im Kibbuz und mit dem Golan - gestern, heute und morgen
    Auf anschauliche Weise und stets freundlich auf die Fragen der noch geistig Wachen eingehend erzählte uns Nurrit, wie sie vor 50 Jahren nach ihrem eigenen Wehrdienst und gegen den Willen ihrer Eltern in den Kibbuz gekommen war und dort ihren Ehemann kennen gelernt hatte.
    Ihre Eltern kamen aus Leipzig und Wien, so dass sie mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen ist und dies durch die zahlreichen deutschen Gäste in ihrem vor 19 Jahren gegründeten Gästehaus auffrischen konnte.
    Das Kibbuz Shaar HaGolan ist noch authentisch sozialistisch: Jedes der 280 Mitglieder bekommt den gleichen Lohn, egal welche Arbeit und Verantwortung für die Gemeinschaft. Sofern ein Mitglied außerhalb des Kibbuz, z.B. als Lehrerin oder Notar arbeitet, zahlt es seinen Lohn in die Gemeindekasse ein, aus der jeder ein monatliches Taschengeld bekommt. Nurrit und ihr Mann zahlen mittlerweile ihre Pension darin ein und bekommen dafür zusammen 6000 NIS pro Monat. Wie viel Taschengeld jeder bekommt, hängt ab von der Größe der Familie und dem Alter der Kinder, die mit im Kibbuz leben.
    Aus dieser Kasse werden fast alle Nebenkosten getragen: Schulversorgung, medizinische Versorgung, Kindergarten, Freizeitaktivitäten der Kinder, Gärtner, Wasser, Steuern, Bau und Umbau der Häuser… nur für den Strom bekommt jeder ein Budget, so dass jeder bei Überschreitung den Rest vom eigenen Geld begleichen muss. Es gibt auch gemeinsame Kibbuzautos, die untereinander geteilt werden. Wenn jemand ein eigenes Auto zur Verfügung haben will, muss er es auch selbst finanzieren.
    Auch für das Essen gibt es ein Budget, von dem jeder einkaufen und in seinem Haus kochen kann. Nur Freitags essen die meisten der Mitglieder in den Speisesaal für maximal 16 NIS.
    Erst seit einigen Jahren ist die Küche koscher, denn die Kibbuz-Mitglieder sind säkulär, also eigentlich atheistisch. Als Nurrit heiraten wollte, durfte der Rabbiner den Kibbuz nicht betreten, heute ist dies lockerer. Dennoch gibt es weder eine Synagoge, noch wird gebetet. Die bereits alten Gründungsmitglieder des Kibbuz wehrten sich gegen die Einführung des koscheren Essens. Nurrit wollte dies aber wegen der gläubigen jüdischen Gäste einführen, was sie letztendlich auch geschafft hat, so dass es morgens hauptsächlich Milchprodukte gibt und abends Fleisch.
    Über jede wichtige Entscheidung muss abgestimmt werden. Daher findet alle zwei Wochen eine Versammlung statt, zu der aber nicht jeder kommen muss. Es kommen nur die, die sich für das jeweilige Thema interessieren und natürlich muss der Vorstand anwesend sein. Alle anderen können den Live-Mitschnitt über ihre Fernseher daheim mitverfolgen und schnell mit dem Fahrrad hinfahren, wenn eine für sie relevante Abstimmung ansteht.
    Shaar HaGolan ist vermögend, weil der Kibbuz eine eigene Fabrik hat und sogar Aktiengesellschaft ist. Die Fabrik stellt Röhren für Heizungen her, die exportiert werden und besitzt auch Außenstellen in anderen Ländern. Dies ist die Haupteinnahmequelle des Kibbuz.
    Zudem werden Avocados, Bananen, Datteln und Mandeln angebaut und der Tourismus bringt ebenso etwas ein.
    Nurrit berichtete uns auch von den Problemen, die ihr Kibbuz heute hat:
    1)     Die Fleißigen arbeiten für die Faulen mit; schließlich bekommt jeder gleich viel. Früher galt es als Schande, nichts für die Gemeinschaft zu leisten, aber
             heute macht es den Faulen nichts mehr aus.
    2)     Junge Leute finden keine Arbeit, die ihrer Ausbildung angemessen ist und sind auch nicht bereit minderwertigere Arbeit anzunehmen.
    3)     Es kommt wenig Nachwuchs in den Kibbuz.
    Die Kinder, die im Kibbuz aufwachsen, bildeten oft eine eigene Gemeinschaft, so dass die Eltern beide arbeiten gehen konnten und sich nur die Erzieher um sie kümmerten. Eine eigene Schule gibt es mittlerweile nicht mehr. Militärdienst leisten sie alle. Sie gehen als Kinder weg und kommen als Erwachsene wieder. Wer dann noch Mitglied im Kibbuz sein will, egal, ob dort geboren oder völlig neu hinzukommend, muss vor der Versammlung einen Antrag stellen. Bewerber und Bewerberinnen müssen unter 35 Jahren, körperlich leistungsfähig sein und eine abgeschlossene Berufsausbildung haben.
  2. Katja und Manuela